Was geht uns das an.......?!

Prof. Dr. Ekkehard Schleußner
Klinik für Geburtsmedizin
Universitätsklinikum Jena

Wie immer am Jahreswechsel lasse ich das vergangene Jahr Revue passieren und schaue was im neuen Jahr so auf mich zukommt. Welche Schlagzeilen des Jahres 2018 werden wichtig bleiben?

  • Wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichungen vor 130 Jahren (FAZ 2.11.18)

  • Jahrhundertsommer mit Langzeit tropischen Temperaturen

  • Rhein und Elbe führen Niedrigwasser wie noch nie

  • Größter Wirtschaftsbetrug wird verharmlost zum Dieselskandal und bleibt – noch – ohne Folgen

  • Fahrverbote in zahlreichen großen deutschen Städten für ältere Diesel

  • Klimagipfel in Katowice ignoriert IPCC Sonderbericht 1,5° (IPPC 2018)

Ach, jetzt kommt das Gutmenschengequatsche auch schon in die ZGN – muss das sein? Was geht uns als Kinder- und Frauenärzte das schon an?

Naja, zum einen natürlich, weil ich persönlich betrogen wurde als ich vor 5 Jahren ganz bewusst „blue tec“ made in Germany gekauft habe. Und zum zweiten jetzt höhere Benzin- und Dieselpreise bezahlen muss, weil die Öltanker nicht mehr den Rhein hinauf kommen und auf die Schiene umgestellt werden muss. Da aber die Kapazitäten nicht reichen, werden die Raffinerien in den Ballungszentren im Südwesten und am Mittelrhein kaum mehr ausreichend versorgt (Wirtschaftswoche 20.11.2018).

Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen- und in unseren Krankenhäusern!

Erinnern Sie sich noch an die lähmende Hitze in den Patienten- und Behandlungszimmern? Welches Krankenhaus in Deutschland hat eine durchgehende Klimatisierung außerhalb des OP- und ITS- Bereiches? Neun der zehn wärmsten Jahre sind im 21. Jahrhundert gemessen wurden (Umweltbundesamt, 06.08.18) – es ist nicht zu erwarten, dass sich dieser Trend ändert. Wird Geld da sein unsere Praxen und Krankenhäuser nachzurüsten?

Das ist keine rhetorische Frage, sondern eine eminent medizinische. Eine wesentliche Übersterblichkeit in Hitzeperioden wurde in Deutschland schon vor Jahren nachgewiesen- besonders betroffen sind Menschen mit Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Demenz (weil da auch das Durstempfinden vergessen wird) (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2017). Das Hitzeextrem mit stärkstem Gesundheitseffekt war bisher der Sommer 2003, in dem europaweit über 50.000 und in Deutschland etwa 7000 Menschen zusätzlich an den Folgen der Hitzebelastung starben (Bunz, Bundesgesundheitsblatt 2018).

Aber das betrifft nicht unbedingt unsere Patientenklientel, könnte man meinen. Doch auch das täuscht. Bereits 2013 publizierten italienische Kollegen, dass während Hitzeperioden in Rom die Frühgeburtlichkeit um 19% angestiegen ist. Ein systematischer Review von immerhin 36 Studien bestätigt diese Assoziation und beschreibt auch ein höheres Risiko für fetale Wachstumsrestriktion und intrauterinem Fruchttod (Zhang et al 2017). Und ganz aktuell zeigen Daten aus Seoul, dass pro 5,5° Temperaturanstieg die Frühgeburtenrate um ca. 3% steigt (Son et al. 2019). Das dürfte vor allem damit verbunden sein, dass die Rate an frühem vorzeitigem Blasensprung (PPROM) in den Sommermonaten pro 1° Temperaturanstieg um 5% (95% CI, 3%, 6%) höher ist – zumindest in den USA (Ha et al. 2018). Deutsche Zahlen gibt es dazu nicht......

Und dann steigt auch noch das Relative Risiko für ein neonatales Atemnotsyndrom auf 1.40 (CI95% 1.25, 1.56) – nein, nicht mit der Hitze, aber mit erhöhten Stickoxidwerten (Seeni et al 2018)....wie war das mit den Fahrverboten?....

Liebe Kollegen, schauen Sie sich die Botschaft des deutschen Raumfahrers Alexander Gerst aus der ISS an seine Enkel an. Er hat Recht – Wir können nicht sagen, wir hätten es nicht wissen können.

Ihr
Ekkehard Schleußner 
Schriftführer der DGPM

Alexander Gerst: Nachricht an meine Enkelkinder [with Closed Captions] – YouTube www.youtube.com/watch

Brachat-Schwarz w, Winkelmann U: Führt der Klimawandel zu einem Anstieg der »Hitzetoten«? Zur Abschätzung der Sterbefälle aufgrund hoher Temperaturen in Baden-Württemberg. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg www.statistik- bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20170802

Bunz M, Mücke G. Bundesgesundheitsbl 2018 · 61:98 doi.org/10.1007/s00103-017-2679-6
Ha S, Liu D, Zhu Y, Sherman S, Mendola P. Acute Associations Between Outdoor Temperature and

Premature Rupture of Membranes. Epidemiology. 2018 Mar;29(2):175-182

IPCC, 2018: Summary for Policymakers. In: Global Warming of 1.5 °C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5 °C above preindustrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty. Deutsche Übersetzung www.de-ipcc.de/media/content/SR1.5-SPM_de_181130.pdf

Schifano P, Lallo A, Asta F, De Sario M, Davoli M, Michelozzi P. Effect of ambient temperature and air pollutants on the risk of preterm birth, Rome 2001-2010. Environ Int. 2013 Nov;61:77-87

Seeni I, Ha S, Nobles C, Liu D, Sherman S, Mendola P. Air pollution exposure during pregnancy: maternal asthma and neonatal respiratory outcomes. Ann Epidemiol. 2018 Sep;28(9):612-618.e4. doi: 10.1016/j.annepidem.2018.06.003. Epub 2018 Jun 13.

Son JY, Lee JT, Lane KJ, Bell ML. Impacts of high temperature on adverse birth outcomes in Seoul, Korea: Disparities by individual- and community-level characteristics. Environ Res. 2019 Jan;168:460- 466

Zhang Y, Yu C, Wang L.Temperature exposure during pregnancy and birth outcomes: An updated systematic review of epidemiological evidence. Environ Pollut. 2017 Jun;225:700-712

Umweltbundesamt: Neun der zehn wärmsten Jahre im 21. Jahrhundert gemessen www.umweltbundesamt.de/themen/neun-der-zehn-waermsten-jahre-im-21-jahrhundert, aktualisiert 06.08.2018