Kongress 2019

29. Deutscher Kongress für Perinatale Medizin 2019 –ein Kongressbericht

Ekkehard Schleußner und Rolf Schlößer für den DGPM Vorstand

Es war eine gelungene Premiere – erstmals fand der traditionsreiche Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin an neuem Ort und mit neuem Konzept statt.  Nach dem Beginn in der „schwangeren Auster“ 1967 in West-Berlin über Jahrzehnte im ICC Berlin und den letzten Jahren im City-Cube auf dem Berliner Messegelände folgten mehr als 1700 Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammen, Pflegekräfte und andere Medizinprofessionelle der Einladung des Tagungspräsidenten Prof. Rolf Schlößer an einem neuen Ort im Herzen Berlins - dem Maritim Hotel Berlin unweit des Potsdamer Platzes. Das Motto der Konferenz: „Hinter dem Horizont geht’s weiter – zusammen sind wir stark“ war nicht nur eine Hommage an Udo Lindenberg, der die Kongressparty auch „beinahe“ selbst beehrte, sondern verdeutlicht das Alleinstellungsmerkmal der DGPM  und des Kongresses als den Platz für interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Professionen im Interesse der uns anvertrauten Schwangeren, Mütter und Kinder.

Bereits vor Kongressbeginn wurde wieder eine Webinar als Form einer internetbasierten Fortbildung und darauf aufbauend am 21.11. praktische Kurse in verschiedenen Berliner Krankenhäusern angeboten.

Teil des neuen Kongresskonzeptes war die erste Erich-Saling-Lecture als besondere Ehrung sowohl des Namensgebers und Gründers der Gesellschaft Prof. Erich Saling als auch dem von ihm ausgewählten Vortragenden. In bewundernswürdiger Vitalität stellte Prof. Saling einführende Worte voran und Herrn Prof. Wolfgang Holzgreve vor, der über die „Noninvasive Pränatale Testung  - von der Idee über die Frustration zum Erfolg“ einen Abriss der durch seine Person wesentlich mitbestimmten Entwicklung dieser Methode in den letzten Jahrzehnten gab. 

Bei der Erich-Saling-Lecture: Prof. Erich Saling (sitzend), Prof. Franz Kainer, Prof. Wolfgang Holzgreve, Prof. Rolf Schlößer v.l.n.r.


Zum ersten Mal wurden die Mitglieder der Gesellschaft ganz konkret aufgefordert, Themen und Sitzungen vorzuschlagen – über 80 Vorschläge wurden gesichtet und bei der Programmgestaltung berücksichtigt. Der Kongresspräsident dankte in der Eröffnungsveranstaltung allen engagierten Kollegen für diese breite Mitarbeit. Traditionell wurde am Beginn des Kongresses der MATERNITÉ-Preis, die höchste Auszeichnung der DGPM verliehen. In diesem Jahr wurde damit Prof. Martin Vogel als Nestor der Plazentaforschung geehrt, dessen Standardwerk „Klinische Pathologie der Plazenta“ gerade in aktualisierter Auflage erneut aufgelegt wurde.

MATERNITÉ Preisträger Prof. Martin Vogel mit der von der Fa. Humana gestifteten Plastik


Als Ehrengast wurde Prof. Christopher Lees, Cambridge, für seine Verdienste auf dem Gebiet der pränatalen Medizin mit der Drs. Haackert-Medaille ausgezeichnet.  Lees ist einer der prägendsten Perinatalmediziner, der insbesondere durch die von ihm geleitete Truffle-Studie weltweit Standards zur Diagnostik und Therapie der frühen fetalen Wachstumsrestriktion gesetzt hat. Das Reisestipendium der Drs. Haackert-Stiftung wurde an Prof. U. Pecks, Kiel, vergeben.

Prof. Christopher Lees, London, mit Laudator Prof. von Kaisenberg bei der Verleihung der Drs. Haackert-Medaille


CREDÉ-Preisträgerin 2019 wurde Frau Priv.-Doz. Kristin Dawczynski, Jena, für ihre Forschungen zur bakteriellen Kolonisation bei Frühgeborenen und neonataler Sepsis,  die ganz im Sinne der Ausschreibung zu einer wirksamen Verbesserung der medizinischen Betreuung dieser hochgefährdeten Kinder beigetragen haben.

Das Forschungsstipendium der DGPM in Höhe von 5.000 € ging an Kollegin Anne Fritze vom Zentrum für Feto-Neonatale Gesundheit Dresden für innovative Ansätze zur Pränatalen Bestimmung von fetalen Hirnvolumina auf der Basis von seriellen 3D Volumina Ultraschallmessungen. Die Ergebnisse werden zum Perinatalkongress 2021 präsentiert werden.

Bei der Mitgliederversammlung der DGPM am Freitag wurde ein neuer Vorstand gewählt, dessen Zusammensetzung Sie wie auch das Protokoll der Mitgliederversammlung auf der DGPM homepage http://www.dgpm-online.org nachlesen können.

Der neugewählte Vorstand und wissenschaftliche Beirat der DGPM


Wie seit 1967 immer bot der Perinatalkongress auch 2019 wieder ein interdisziplinäres Forum, auf dem gemeinsam die neuesten Entwicklungen der Perinatologie vorgestellt, Fortbildung auf höchstem Niveau möglich, aber auch Probleme und Kontroversen intensiv diskutiert werden konnten. Bei über 100 gut besuchten wissenschaftlichen Sitzungen und 10 Kursen ist es natürlich nicht möglich umfassend zu berichten, so dass im Folgenden nur wenige uns besonders wichtige Themen angerissen werden können. Exemplarisch seien die sehr gut besuchten Sitzungen genannt, die über den neuesten Stand der Leitlinien in der Perinatologie berichteten. So wurde die Arbeit an den lange erwarteten Leitlinien zur Sectio caesarea sowie zur Vaginalen Geburt aus dem Blickwinkel der Hebammen und der Geburtshelfer dargestellt.

In 2020 wird auch die Neufassung der Leitlinie „Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit“ erwartet. Diesem Thema waren Sitzungen an allen drei Kongresstagen gewidmet. Im überfüllten Großen Saal wurde über medizinische und ethische Fragen bei der Schwangerschaftsprolongation an der Grenze der Lebensfähigkeit auf höchstem fachlichen Niveau und gleichzeitig sehr persönlichem Erfahrungshorizont diskutiert. Welche Last der Entscheidung muten wir bei diesen Beratungen den Eltern - aber auch uns Ärzte, Pflegende und Hebammen zu? Aus Sicht eines Philosophen beleuchtet Prof. Steigleder, Bochum, die Frage, ob und wie uns grundlegende ethische Überlegungen dabei weiterhelfen? „Es gibt wohl keine medizinische Disziplin, die sich so sehr mit ethischen Fragen konfrontiert sieht wie diejenige, die sich mit dem menschlichen Leben am Anfang beschäftigt“, so Prof. Schlößer. „Immer wieder geht es um die grundsätzliche Frage, mit welchen ethischen Grundsätzen und kulturellen Einflüssen wir die Entscheidungen gemeinsam mit den Patienten treffen.“

Neu bei unserem Kongress war auch der Einsatz von ePostern, der bessere Präsentationsmöglichkeiten erlauben sollte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit einem störenden Umgebungslärmpegel konnten sich die Vorteile nach Raumanpassungen durchsetzen. Posterpreisträger 2019 wurde M. Gaspar et al., Zürich, für ihre Untersuchungen zur akustischen Umgebung auf neonatologischen Intensivstationen. Der Preis für den besten freien Vortrag ging an Prof. T. Schaible, Mannheim, der die Ergebnisse einer internationalen Studie zum Einsatz einer Trachealballonokklussion bei kongenitaler Zwerchfellhernie vorstellte.

Angeregte wissenschaftliche Diskussion während der Postersession


Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe war eingeladen eine Sitzung zu gestalten und wählte das Thema Väter im Kreißsaal, das erhellend zwischen den Polen „nur geduldet oder wichtig? und „ein falsches Konzept?“ auf Basis von Ergebnissen einer prospektiv-randomisierten Studie erhellend diskutiert wurde. Von der DGPFG wurde auch ein Wissenschaftspreis vergeben, der an Frau Dr. J. Zöllkau, Jena, vergeben wurde, die mittels fetaler und maternaler Herzfrequenzanalysen nachweisen konnte, dass maternales Stresserleben zwar die kardiovaskuläre Regulation der Mutter, aber nicht des Feten beeinflusste.

Die vom Deutschen Hebammenverband und der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften gestalteten Sitzungen beschäftigten sich mit eine Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit und zogen Bilanz von 30 Jahren evidenzbasierter Gesundheitsversorgung.

Wie schon 2017 stand die Qualitätsanalyse unserer Arbeit im Zentrum der Diskussionen.  So wurden Ergebnisse von 20 Jahren Qualitätssicherung außerklinischer Geburtshilfe vorgestellt. Die heftigen Diskussionen zu der Verwendung von Qualitätsparametern aus der Perinatalerhebung als planungsrelevante Qualitätsindikatoren wurden in einem Forum mit dem DGPM-Präsidenten F. Kainer und IQTIG-Leiter C. Veit fortgesetzt.  Heiß diskutiert wurde auch die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben einer 1:1-Betreuung von Frühgeborenen, die entsprechend der 2014 vom GBA erlassenen Qualitätssicherungsrichtlinie Früh- und Reifgeborene „QFR-RL“ ab dem 1.1.2020 durchgesetzt werden soll und damit die Neonatologien extrem unter Druck setzen. Nach gesetzlicher Vorgabe ist für die bestmögliche Versorgung der rund 9000 Kinder, die jedes Jahr in Deutschland mit einem Gewicht von weniger als 1500 Gramm auf die Welt kommen, in jeder Schicht rund um die Uhr eine eigene neonatologische Intensivpflegekraft bereitzuhalten. Doch können solche strengen Kriterien nach einer aktuellen Studie, die bei der Tagung vorgestellt wurde, von kaum einer der 300 Perinatalzentren in Deutschland erfüllt werden.

Der Blick über die deutschen Grenzen beschäftigte sich mit Perinatologie im Zeitalter der Globalisierung und Migration. Es wurden Studienergebnisse zu Migration als geburtshilflicher Risikofaktor wie auch zu Sprachproblemen in der Neonatologie ebenso vorgestellt wie perinatologische Konzepte in Afrika oder der chinesische Blick auf die „real world of infection“.   

Eröffnungssitzung mit dem Hebammenchor Innsbruck und DGPM-Past-Präsident Franz Kainer

Ein besonderes Flair erhielt der Kongress durch den scheidenden DGPM-Präsidenten Franz Kainer, der gemeinsam mit den jungen Damen des Chores der Hebammenschule Innsbruck zur Eröffnung die musikalische Aufforderung „with a little help from a friend“ sang und dann zur Abschlusssitzung die Präsidentschaft an Prof. Rolf Schlößer, Frankfurt/M. weitergab. Beiden wurde von den Teilnehmern durch langanhaltenden Beifall für ihre erfolgreiche Arbeit und großes Engagement für unsere Gesellschaft gedankt. Der Perinatalkongress 2021 wird von Prof. Ekkehard Schleußner als Kongresspräsident vom 25. – 27. November wieder im MARITIM-Hotel Berlin unter dem Motto „Panta Rhei – Wandel als Herausforderung“ organisiert.